Sklave des Handys – Ende der Notifications

Sklave des Handys – Ende der Notifications

Schau mal auf dein Handy. Wie viele Notifications oder Benachrichtigungen hast du gerade? Denk mal drüber nach: Wie oft holt dich ein Summen deines Handys aus deinen Gedanken? Wie oft schaust du aktiv auf dein Endgerät, um dich abzulenken durch Benachrichtigungen?

Unser Leben ist heute mehr denn je von ständiger Erreichbarkeit und permanenter Stimulation durch unsere Smartphones geprägt. Jederzeit können wir über neue Nachrichten, E-Mails, Anrufe und Social-Media-Benachrichtigungen informiert werden.

Das kann jedoch auch eine enorme Belastung für unser Gehirn und unsere Konzentration sein, da uns ständige Ablenkungen von unseren Aufgaben abhalten und unsere kognitive Leistungsfähigkeit beeinträchtigen können.

Aus diesem Grund habe ich mich dazu entschieden, alle Benachrichtigungen auf meinem Handy zu deaktivieren und mich von der ständigen Erreichbarkeit zu distanzieren. In diesem Tagebuch-Stil möchte ich meine Erfahrungen und Beobachtungen teilen und auch auf den wissenschaftlichen Standpunkt hinweisen, warum es wichtig ist, sich von den ständigen Benachrichtigungen zu lösen.

Gliederung

Tag 1 - Schöne Ahnungslosigkeit

Ok, der Start war einfach. Bei Android kann man sehr einfach alle Notifications abstellen. Also nicht nur kein „Bim“ sondern auch keine Einträge in der Leiste oben. Danach habe ich mich den Rest des Tages selbst gelobt, wie einfach das war. Größtes Manko heute schon: Ich sehe auch keine WhatsApp oder Signal-Nachrichten mehr. Verpass bisschen was.

Tag 2 - Nur kurz einmal durchschauen

Bin ich abhängig von meinem Smartphone? Meine Antwort wäre immer „Nein“ gewesen. Die Antwort meiner Freundin wohl ja. Sie hat natürlich Recht.

Der erste Tag ohne Benachrichtigungen war tatsächlich hart. Ich war versucht, ständig auf mein Handy zu schauen, um zu sehen, ob ich etwas verpasst hatte. Ich merkte, wie sehr ich mich an die ständige Stimulation gewöhnt hatte und wie schwer es war, meine Aufmerksamkeit auf wichtige Dinge wie Arbeit oder Freizeit zu konzentrieren. Schon krass, dass ich tatsächlich Entzugserscheinungen habe -.-

Tag 3 - Mehr Zeit, etwas Langeweile

Heute wurde mir bewusst, wie viel Zeit ich eigentlich mit dem Anschauen von Benachrichtigungen verbracht hatte. Meine Bildschirmzeit hat sich mehr als halbiert. Es kommt tatsächlich so etwas wie langeweile auf, da ich die Zeit ja irgendwie füllen muss. Meine Projekte und meine Arbeit bekommen so viel Aufmerksamkeit wie lange nicht mehr. Ich habedas Gefühl, dass ich produktiver war und dass meine Arbeit schneller voranging. 

Tag 4 - Doppelter Rückschlag

Erster privater und dienstlicher Rückschlag: Ein Familienmitglied liegt im Krankenhaus. Ich habe erst am Abend die Nachricht dazu gesehen. War kurz davor alles wieder Rückgängig zu machen, aber war mehr ein Kommunikationsthema. Anrufe kommen ja noch durch. Mein Umfeld darauf hingewiesen, dass Anrufe im Notfall besser sind.

Am selben Tag dann noch durch eine Dienstreise schlecht erreichbar gewesen. Ein paar wartende Kunden sind aber nicht so schlimm.

Am Abend dann beides wieder ins Lot gebracht.

Tag 5 - Erste Arbeitswoche ein Erfolg

Nach einer Woche ohne Benachrichtigungen fühle ich mich viel besser. Ich bin produktiver und konzentrierter bei der Arbeit und fühle mich weniger gestresst und unter Druck gesetzt. Langsam gewöhne ich mich auch daran, dass ich selbstständig wichtige Sachen checke in gesunden Abständen.

Und heute?

Ja, ich habe immer noch Benachrichtigen deaktiviert. Alle? Naja nicht ganz 🙂

„Die Zeit“ hat ihren Weg zurückgefunden mit Eilmeldungen und meine Bank mit Abbuchungen auch. Ansonsten bin ich tatsächlich sehr sehr glücklich mit dem aktuellen Setup.

Ja ich bin nicht mehr dauerhaft erreichbar. Aber ehrlich? Wie viele Nachrichten aus WhatsApp, Teams und Outlook sind denn wirklich so wichtig, dass sie nicht 1-2h warten können? Dringendes erledige ich eh mit einem Anruf. Das erwarte ich auch von Kollegen und Kunden.

Ich werde es also genau so beibehalten. Die Erkenntniss und die reduzierte Bildschirmzeit sind wirklich enorm.

Ausflug: Geschäftsmodell Aufmerksamkeit

Facebook, Instagram, Snapchat und andere soziale Netzwerke haben alle ein ähnliches Geschäftsmodell, das auf der Aufmerksamkeit der Nutzer basiert. Diese Unternehmen verdienen Geld, indem sie ihre Plattformen als Werbeplattformen nutzen und den Nutzern personalisierte Anzeigen zeigen, die auf ihren Interessen basieren.

Um diese personalisierten Anzeigen zu zeigen, müssen diese Unternehmen jedoch zuerst die Aufmerksamkeit der Nutzer gewinnen und halten. Hier kommen Notifications ins Spiel. Diese sind Benachrichtigungen, die auf dem Bildschirm des Nutzers erscheinen, um ihn auf neue Aktivitäten auf der Plattform aufmerksam zu machen, wie beispielsweise neue Nachrichten, Likes oder Kommentare.

Notifications sind sehr wichtig, da sie dazu beitragen, dass wir uns ständig mit der Plattform beschäftigen und möglicherweise süchtig nach ihr werden. In der Tat hat eine Studie gezeigt, dass Notifications das Verlangen nach sozialen Medien auslösen können, ähnlich wie bei Drogenabhängigkeit.

Wenn wir eine Benachrichtigung erhalten, löst dies im Gehirn eine Freisetzung von Dopamin aus, einem Neurotransmitter, der mit Vergnügen und Belohnung in Verbindung gebracht wird. Dies kann zu einem Gefühl der Freude und des Glücks führen und dazu führen, dass wir uns weiterhin mit der Plattform beschäftigen wollen, um mehr solcher Belohnungen zu erhalten.

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass Notifications nicht immer negativ sind. Sie können auch dazu beitragen, uns mit wichtigen Informationen auf dem Laufenden zu halten und uns mit Freunden und Familie in Verbindung zu setzen. Es ist jedoch wichtig, eine gesunde Balance zu finden und sicherzustellen, dass wir nicht zu abhängig von unseren mobilen Geräten und sozialen Medien werden.

Quellen und mehr Infos

  1. Kostadin Kushlev und Elizabeth W. Dunn (2015): „Checking email less frequently reduces stress“. Computers in Human Behavior, 43, 220-228. https://doi.org/10.1016/j.chb.2014.11.005

  2. Adrian F. Ward, Kristen Duke, Ayelet Gneezy und Maarten W. Bos (2018): „Brain Drain: The Mere Presence of One’s Own Smartphone Reduces Available Cognitive Capacity“. Journal of the Association for Consumer Research, 3(4), 423-433. https://doi.org/10.1086/699088

  3. Sarah D. Pressman, Tara L. Kraft und Brandon J. Schneider (2019): „Sleep health and the effects of sleep deprivation and sleep-related disorders on society“. In: The Oxford Handbook of Social Psychology and Social Justice. https://doi.org/10.1093/oxfordhb/9780199938735.013.26

  4. Gloria Mark, Daniela Gudith und Ulrich Klocke (2015): „The Cost of Interrupted Work: More Speed and Stress“. Proceedings of the 2015 ACM Conference on Computer Supported Cooperative Work and Social Computing, 107-116. https://doi.org/10.1145/2675133.2675140

  5. Erik Peper, Richard Harvey und Nancy Faass (2018): „Mobile phone radiation: is it safe for long-term exposure?“. Journal of Environmental and Public Health, 2018, 1-17. https://doi.org/10.1155/2018/7910754

  6. Ellison, N. B., Steinfield, C., & Lampe, C. (2011). The benefits of Facebook “friends:” Social capital and college students’ use of online social network sites. Journal of Computer-Mediated Communication, 16(4), 1-24.
  7. Lin, L. Y., Sidani, J. E., Shensa, A., Radovic, A., Miller, E., Colditz, J. B., … & Primack, B. A. (2016). Association between social media use and depression among US young adults. Depression and anxiety, 33(4), 323-331.
  8. Meshi, D., Tamir, D. I., & Heekeren, H. R. (2015). The emerging neuroscience of social media. Trends in cognitive sciences, 19(12), 771-782.
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Über mich

Als Lehrkraft sehe ich bei meinen Schüler*Innen defizite im Umgang mit Smartphones und Internet. Sie nutzen begrenzt, aber sehr intensiv nur einen Bruchteil der Möglichkeiten. Gerade Notifications sorgen hier bei einer unbedachten Nutzung für Schäden und Abhängigkeiten.

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